Seit 4 Monaten begleite ich Joscha als Mentor bei seinem Lernen im Colearning Bern. Mich interessiert schon seit längerer Zeit, wie Menschen lernen, warum sie etwas genauso machen und was sie in ihrem Lernen unterstützt. Für mich ist immer wieder erstaunlich, wie gut Jugendliche sagen können, was sie wirklich brauchen, was sie bewegt und wie bereichernd für beide Seiten ein solcher Dialog ist.
Die folgenden Aussagen sind aus einem längeren Interview mit Joscha:
In der 6. Klasse habe ich die Volksschule verlassen und wurde Homeschooler. Die Volksschule mit ihrem Notensystem hatte mich zu sehr eingeschränkt und gestresst. Ich war unglücklich. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, will selber etwas machen, will selbstständig meinen Projekten und Ideen nachgehen. Diese Freiheiten konnte die Schule mir nicht bieten. Seit 2 ½ Jahren bin ich jetzt 2 bis 3 Halbtage pro Woche als Colearner im Coworking Effinger. Und ich werde hier im Sommer eine Lehre als Mediamatiker beginnen. Ich bin der erste Lernende bei YOLU, einer Organisation, die eine Ausbildung im Coworking Effinger anbietet. Im Gegensatz zur Schule habe ich hier im Colearning viele Entscheidungsmöglichkeiten. Hier kann ich meine Projekte verwirklichen, hier kann ich meinen Ideen nachgehen. Ich bin hier unter Gleichaltrigen und Erwachsenen mitten im Leben. Jetzt ist mein Lernen sinnvoll geworden, ich bin motiviert. Im Effinger habe ich entdeckt, was ich gut kann, wo meine Stärken liegen, welches meine Potenziale sind. In den Projekten und eigenen Arbeiten habe ich gemerkt, was ich gerne mache oder machen würde. Hier wird ganzheitlich gelernt, der Effinger ist ein Lernort. Für mich gibt es jetzt keine Trennung mehr zwischen Schulzeit und Freizeit. Jeder macht etwas anderes und trotzdem arbeiten wir zusammen. Meine Fähigkeiten sind gefragt, ich bin ein Teil der Community. Die Schule ist in ihrem System gefangen, Lernzeiten sind organisiert und zeitlich beschränkt. Hier darf ich so lange an einem Projekt arbeiten, bis es fertig ist. Ich darf verweilen, mir Zeit geben, etwas vertiefen und darf immer auf Unterstützung der anderen zählen. Als Effianer seit dem 2023 übernehme ich hier noch mehr Verantwortung für die Community. An Freitagen bin ich Gastgeber für den Coworking Space. Colearning Bern ist ein Lernort. Ich darf experimentieren, ausprobieren, Fehler machen, Arbeiten vorstellen, mein Lernen dokumentieren und reflektieren, mein Wissen und Können sinnvoll nutzen. Hier schreibe ich Blogs über mein Lernen, gestalte Flyer, drehe Videos, bearbeite Filmsequenzen, übernehme Aufträge, gestalte Erklärvideos zum Beispiel für pilzfarm.be und werbe für unser Projekt Pilzfarm. Ich steige nach und nach in die Arbeitswelt ein. Das Schulische (Mathematik, Sprachen) bearbeite ich zuhause, auch als Vorbereitung für die Berufslehre. So lerne ich auch Dinge, die ich nicht so gerne mache. Ich lerne mit Unangenehmen umzugehen. Aber jetzt weiss ich, wozu das sinnvoll ist, denn ich will eine Berufslehre erfolgreich bestehen.
Wenn ich Bildungsdirektor wäre, dann müsste sich die Schule weiterentwickeln und wandeln. Meine Schule ist ein kreativer Ort, wo neues Wissen und Können gefördert wird. Grundsätzliches steht im Zentrum. Inspiriert wird meine Schule durch Pädagogen, Menschen, die ihren Job lieben, die junge Menschen gerne bei der Arbeit, beim Lernen an eigenen Projekten begleiten und die mir vor allem Freiheiten in der Wahl der Themen gewähren. Die Schule ist ein Ausprobierraum. Die Jugendlichen haben Mentoren und Coaches. Die Lehrpersonen sind interessiert zu erfahren was Jugendliche beschäftigt. Für mich heisst Lernen, dass ich meine Projekte verwirklichen kann, dass ich von anderen lernen darf, dass ich helfen kann und dass ich Zuwendung und Beachtung bekomme. Lernen ist für mich leben.